Nicht nur Inszenierungssache

Letztes Wochenende war Spieleabend bei Fuchs und Drachenechse. Bevor es da losging, hatte ich Gelegenheit, noch ein wenig mit der Drachenechse zu quatschen. Und da haben wir uns auch mal über ihr Weihnachtsgeschenk unterhalten, welches sie von Fuchs bekommen hat. Den Fuchs hatte ich darüber schon schriftlich via Chat ausgefragt.

Das Geschenk war etwas Kulturelles.
Nämlich einmal Besuch der tourenden Neuproduktion von „Les Misérables“.
Als ich von dem Geschenk an Weihnachten gehört habe, war ich etwas neidisch. Als ich jetzt aber gehört habe wie es war, nicht mehr.

Ich möchte hier kurz erwähnen, dass „Les Misérables“ mein absolutes Lieblingsmusicals ist.

Seit ich – ich denke 1989 – durch Biolek darauf aufmerksam wurde. Der hatte in seiner Sendung am Donnerstagabend, so etwa gegen Zehn nach Zehn, den Cast aus Wien da, die „Morgen schon“ gezeigt haben. Und dachte ich am Anfang noch, bei Valjeans ersten gesungenen Sätzen: „Mein Gott, Cosette, was für ein schrecklicher Schrei. Ich hörte viele, laute Stimmen in der Nacht…“ noch ‚Oje.‘, war ich am Ende von „Morgen schon“ hin und weg.
(Das ich die Uhrzeit so eingrenzen kann, liegt daran, dass meine Eltern immer um 10 Schlafen gegangen sind. Was bedeutet, ich hatte diese Entdeckung für mich alleine.)

Schnell hatte ich dann die Musik dafür. Ich frage mich gerade, ob auch auf LP? Egal. Jetzt nicht so wichtig.

Dieses Musical hatte mich also schnell am Haken, wenn es auch etwas gedauert hat, bis ich es mal leibhaftig erlebt habe, damals in Duisburg. Und es war… WOW!
Ich glaube, insgesamt habe ich es wohl 5 Mal in Duisburg gesehen. (Gefolgt von „Wicked“ 3 Mal, und „Non(n)sens“ 2 Mal. Oder auch 3 Mal? Auch nicht so wichtig. Denn es geht ja um „Les Misérables“!)

Den Film habe ich natürlich auch gesehen, also die Musicalverfilmung. Dafür bin ich extra an einem freien Ostermontag um 11 Uhr (morgens) ins Kino gegangen, um die Originalfassung sehen zu können. Und ich denke, so wie mir geht es da auch anderen. Also von Drachenechse bin ich mir da sicher. Fuchs dagegen kennt das Stück nicht. Und hat auch den Film nicht gesehen. Sie hat vielleicht ein-zwei Lieder davon gehört, ist da aber sonst noch ein völlig unbeschriebenes Blatt. Deswegen gab es halt mal zu Weihnachten entsprechend die Karten für das tourende Stück.

Das war das Intro, die Vorgeschichte.

In Büchern, Filmen, Geschichten nennt man es auch „Prolog“. Find ich prima. Wollte ich schon immer mal machen. ;o)
Also war das oben jetzt der Prolog.

Und was kommt jetzt?

Kein Karton.

Sondern…

Wir alle drei, Drachenechse, Fuchs und ich, machen oder haben Theater gemacht.

Drachenechse + Fuchs verdienen ihre Brötchen jetzt u.a. als Theaterpädagog*innen. Ich habe dagegen das letzte Mal tatsächlich 2012 auf der Bühne gestanden. Seitdem hat sich irgendwie nichts mehr ergeben für mich, theatermässig.
Doch das ist jetzt auch nicht das Thema.
Sondern es geht darum, dass wir eine Vorstellung haben, wie Stücke bearbeitet werden. Und das eine Stückvorlage bei unterschiedlichen Regisseuren ganz unterschiedlich auf der Bühne landen kann. Nämlich so, dass es mit dem Grund-Hintergedanken des Inszenierers zusammenpasst. So sind die endgültigen Strichfassungen unterschiedlicher Regisseure natürlich genauso unterschiedlich. Sogar die Strichfassungen des gleichen Stückes vom selben Regisseur könnten sich unterscheiden, sollte einiges an Zeit zwischen den Inszenierungen liegen, und der Regisseur sein Augenmerk auf einen anderen Fixpunkt der Geschichte gelegt haben. So kann man ein Stück immer wieder neu erleben. Und dafür ist man als Theaterzuschauer auch offen. Man kennt vielleicht die Geschichte des Stückes „Der eingebildete Kranke“ und ist gespannt, was dieses Mal daraus gemacht wird.

Größere Unterschiede kann es dann geben, wenn die Stückvorlage eine Geschichte oder ein Buch ist. Was dann vom Buch/Geschichte im Stück landet, kann noch mehr differieren als bei einer fertigen Stückvorlage. Da können ganze Charaktere sein, die dazugeschrieben/gestrichen sind.
Kommt dann noch Musik dazu…

Was für Erwartungen hat jetzt wohl ein Zuschauer?
Wenn er nur erst mal „Les Misérables“ liest?

Nehmen wir mal die literarische Vorlage von „Les Mis“.
Dies sind in einer gebundenen Ausgabe von „Die Elenden“ von Victor Hugo 1344 Seiten Geschichte.
Dieses Buch/Bücher (meine Ausgabe verteilt sich auf drei Bücher) sind Vorlagen für inzwischen über 40 Filme seit 1907! Sicherlich unterscheiden sich da nicht nur die Hauptdarsteller. Doch wird es bei allen Verfilmungen höchstwahrscheinlich um die Geschichte von Jean Valjean gehen. Denn der ist nun mal die Hauptfigur, würde ich jetzt mal behaupten. Ich gehe mal davon aus, dass dies auch eine Haupterwartung im Voraus des Zuschauers ist.

Außerdem gibt es das Musical „Les Misérables“, welches nach der Vorlage des/der Buch/Bücher von Victor Hugo geschrieben wurde. Im Original mit der Musik von Claude-Michel Schönberg und dem Text von Alain Boublil. Die deutsche Textfassung ist übrigens von Heinz Rudolf Kunze. Aber das nur nebenbei.
Das Musical läuft immer noch in London und New York. Unter anderem. In der Inszenierung, wie DIESE Version überall auf der Welt gespielt + gesungen wurde und wird.

Da diese Inszenierung leider keinen festen Spielort in Deutschland mehr hat, denken die meisten potentiellen Zuschauer sicherlich – so wie ich auch – dass, wenn es heißt „Das Musical ‚Les Misérables‘ wird aufgeführt“ als allererstes an DAS Musical. Beim Zusatz „Neuproduktion“ denke ich eher an die spielerische Umsetzung, die sicher bei einer Reiseproduktion anders sein wird + muss, als in einem festen Haus. Darauf, die Namen der Autoren und Komponisten zu vergleichen, würde ich nicht kommen.

Ich würde (und habe) nur gesehen „Les Misérables“ kommt. Wer achtet da auf so Feinheiten wie Autor, Komponist oder „Neuproduktion“? Oder liest sich dann noch den Text durch, in dem geschrieben steht, um was es geht? Das wissen „Les Mis“-Fans ja.

Wenn man es vorher gelesen hätte, hätte man allerdings erfahren, dass es in dieser Neuinszenierung rein um die Liebesgeschichte von Marius und Cosette geht.
Und ich danke mir

„Hallo?!?“

Wenn man jetzt gehässig sein will und behauptet, dass diese Neuproduktion nur deswegen nur als „Les Mis“ beworben wurde und wird, damit Leute dieses wegen dem Namen und dem Titelzusatz „Musical“ besuchen, in der Erwartung, „das“ Musical zu sehen, vergisst allerdings, dass auch in dieser Neuinszenierung Arbeit steckt. Es mussten Texte und Musik geschrieben werden. Deswegen finde ich es etwas unglücklich, im Titel nicht noch mehr auf diese Veränderung hinzuweisen. Zumal die Macher des Musicals dieses inzwischen ja „Barricade“ nennen. Warum dieser Titel nicht in der Werbung verwendet wurde?

Von daher unterstelle ich doch, dass mehr Leute mit dem Titel „Les Misérables“ und „Musical“ angelockt werden sollten, als sonst vielleicht bei deutlicherer Titeldifferenzierung gekommen wären.

Natürlich ist der Veranstalter bei dieser Art der Werbung auf der sicheren Seite. Denn schließlich kommt dieser Geschichtenteil der „Lovestory“ auch vor, im großen Buch von „Die Elenden“. Dann kann man sich auch hinstellen und sagen, dass die Leute sich halt vorher hätten informieren sollen.

Jedoch hätte es der Veranstalter auch so machen könne wie Deborah Sasson. Von der ich inzwischen mehrmals gelesen habe, dass sie jetzt mit einer eigenen Version vom „Das Phantom der Oper“ unterwegs ist – und nicht mit der von Andrew Lloyd Webber. Da weiß man dann schon vorher, dass man Änderungen in der Erzählung und Musik erwarten kann.

Dies erst im Nachhinein mitzuteilen und sich so zu rechtfertigen, stellt den Veranstalter in kein gutes Licht. Das dann viele Zuschauer vor dem Ende gehen, damit ist bei dieser falschen Erwartung zu rechnen. Doch dann hat man das Geld der Leute ja schon bekommen.
Doch man würdigt damit NICHT die Arbeit der Macher, denen man am Ende einer Aufführung ja Applaus wünschen sollte.
Bei „Ring der Nibelungen“ denkt man ja auch fast automatisch an die Oper(n) von Wagner. Wenn sich jetzt jemand hinsetzt, und eine neue Bearbeitung schreibt, mit Musik und anderem Erzählstrang, dann wäre der Aufschrei bestimmt ebenso groß, würde es nur als „Ring der Nibelungen“ laufen. Oder man schreibt eine neue Musical-Version vom „Glöckner von Notre Dame“, allerdings nur aus der Sicht von Esmeralda. Bei dieser Art der Neunutzung des Titels „Der Glöckner von Notre Dame“ und „Musical“ wäre man wohl auch sicher – aber ich denke, da hat Disney gut die Finger drauf.

Außerdem finde ich das Argument des Veranstalters, dass so ein großes Musical wie „Les Mis“ ja kaum nur als Tagesproduktion touren kann/würde, so nicht annehmbar. Denn schließlich kann auch ein Original-Les-Mis nur an einem Tag an einem Veranstaltungsort gespielt werden. Solange die Lieder und der Erzählstrang gleichbleiben, ist es halt eine Inszenierungssache, wie man die vielleicht fehlende Drehbühne ausgleicht. Und wenn mich nicht alles irrt, haben die Meininger vor ein paar Jahren damit auch Gastspiele gemacht.

Drachenechse wäre gegangen, wenn Fuchs nicht dabei gewesen wäre. Ich denke, ich hätte mich auch aufgeregt. Ich fand es ja schon unglaublich, nur darüber zu hören. Und wenn ich jetzt, während des Schreibens, einige Punkte nachgeschlagen habe und sehe, dass z.B. in Darmstadt im Februar die Karten von 44 Euro bis 72 Euros gehen – genau wie in Bremen… 100 Leute, die früher gehen, sind dann bereits zwischen 4.000 und 7.000 Euro leicht verdientes Geld für den Veranstalter. Nur durch die leichte Verwechslungsgefahr mit dem Original.

Was sagt uns das jetzt alles?

Auch wenn man denkt, man weiß, was einen erwartet: Lest besser VOR dem Kauf nochmal nach. Damit Ihr Euch dann nicht verarscht vorkommt. Wäre schade für Euch – und für die, die sich auf der Bühne die Mühe gegeben haben.

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