Reifestufen

Alles und jede_r hat Reifestufen.

Säfte, die es über verschiedenste Gärungsstufen bis zum Essig schaffen können.

Große Hunde, kleine Hunde, Katzen…
Eine Galapagos-Meeresschildkröte reift ganz anders als eine Eintagsfliege.

Käse kann reifen bis er wegläuft…

Das klappt bei Menschen auch.

Ich würde von mir behaupten, ich bin eine Spätreifung. Dafür spricht, dass ich mit Anfang 20 – so um die 22-23 – gefühlte Ewigkeiten gebraucht habe, bis ich mal gerafft habe, dass meine eine Jugendtheater-Spielleiterin lesbisch ist.

Bis dahin hatte ich dazu keinerlei Anknüpfungspunkte und habe mir auch keine Gedanken gemacht.

Ehrlich gesagt: Warum auch?

Jede_r soll den/die lieben dürfen, die er/sie will. Das hat mich gar nicht zu interessieren, bzw. geht keinen anderen etwas an. Solange alle beteiligten Parteien damit einverstanden sind.
Und es legal ist.
Den Rest der Welt? Who cares.

Nun, irgendwann habe ich es dann doch auch mal mitbekommen/kapiert.
Wieder ein Reifepunkt mehr.

Das ein Mitspieler meiner anderen Theatergruppe schwul war, habe ich auch ewig nicht kapiert/mir Gedanken gemacht. Es kam so langsam bei mir an, als ein anderer Mitspieler leicht aggressiv homofeindliche Sprüche abgelassen hat, wenn der schwule Mitspieler in der Nähe war.
Die Sprüche und das Warum für diese Sprüche haben mich eher gewundert. Bis ich auch diesen Reifepunkt erreicht habe.

Inzwischen mache ich mir darüber jetzt zwar nicht groß Gedanken mehr, wer vielleicht (oder auch nicht vielleicht) homosexuell ist. Inzwischen kenne ich ja nun einige und kann Menschen vielleicht eher einschätzen und zuordnen. Auch wenn es für mich da eigentlich keinen Grund gibt. Es sei denn, ich bin an jemanden interessiert. Da ist es dann schon hilfreich, wenn ich ahne, ob ich da mit meinem Geschlecht überhaupt eine Chance habe.
Ich denke, im „Wissen“ habe ich nun (endlich) eine gewisse Reifestufe erreicht.

„Handeln“ oder „Agieren“ war dann nochmal ein anderer Reifeprozess.

Als ich mit Leuten aus meinen beiden Theatergruppen 1992 bei der Hessisch-Thüringischen Theaterwerkstatt in Rudolstadt war, gab es einen Moment, als wir Hanauer ein Mädel aus Rudolstadt gesehen haben, als diese Rotz + Wasser heulte.
Wie haben wir reagiert?
Ich war da eher panisch, mit der Begründung „Ich habe keine Ahnung, was ich da machen/sagen soll?“ So haben wir ein Mädel von uns dazu gebracht/überzeugt/überredet, zu dem anderen Mädel zu gehen und für sie da zu sein.

3 Jahre später bin ich dann selbst – auch in Rudolstadt – zu einer Odenwälderin gegangen, die unglücklich aussah. Denn bis dahin war ich wohl selbst endlich genug gereift, um zu kapieren, dass da sein + zuhören oft auch schon hilft. Diese Reifestufe des „für jemanden da sein wollen“ hat mir dann unwillkürlich auch in einem anderen Reifeprozess weitergeholfen. Denn dieses leichte Kümmern hat mir meinen ersten Kuss eingebracht.
Das war völlig unerwartet für mich… doch war ich gerne bereit, auch mal unerwartetes zu lernen.
So gab es das Wochenende über noch einige Küsse mehr und zwei Wochenendbesuche nach der Werkstatt.

Welche Reifestufen habe ich nun inzwischen erreicht?

Eine gute Frage.

Ich denke, ich habe wohl einen guten Reifegrad erreicht.

Als Käse wäre ich wohl inzwischen gut weich, aber noch einiges vom Zerlaufen entfernt.

In der Weinverarbeitung habe ich es hoffentlich noch weit bis zur Essigstufe.

Doch wer kann das schon genau sagen…

Ein Wetterumschwung zu viel – und alles kann umkippen. Dann überspringt mensch mehrere Reifestufen auf einmal und hüpft direkt in die Mülltonne oder den Ausguss.

Na, Mahlzeit!

 

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